Textauszug

Ein kühler Luftzug strich durch den Keller. Er hätte - da keine Öffnung zu sehen war - seine
Neugierde wecken oder ihm doch zumindest ein leichtes Schaudern in die Glieder treiben
müssen, aber statt dessen wurde ihm eher wohlig zumute; er setzte sich und dachte an die
Abende im Patio, die er mit Vater verbrachte. Wenn es schon dunkel geworden war, dann saß
Vater mit halb geöffnetem Hemd im Patio, und an Wochenenden durfte sich Luis zu ihm
gesellen, aber manchmal gelang es ihm auch unter der Woche, sich an Mutter und ihrem Näh-
zimmer vorbeizuschleichen.
”Was sitzt du da?” hatte Luis ihn die ersten male noch gefragt.
”Ich horche auf den Wind.”
Es stimmte, es ging eine sanfte, frische Brise.
”Aber den Wind kann man doch nicht hören.”
”O doch”, entgegnete Vater. ”Hörst du ihn nicht? Horch genau hin! Horch, wie er hereinzieht,
wie er rauscht und spricht. Die Geister sprechen in ihm zu uns, die Geister der Berge, die
Geister der in dem See oben Ertrunkenen, die Geister unserer Vorfahren. Horch!”
Luis war etwas verwirrt, denn so hätte Señora Tocache sprechen können, die Vater immer als
verrückt tituliert hatte. Er lauschte so angestrengt wie nur irgend möglich, aber vergeblich.
”Mein Großvater, er sagt, ich werde Prüfungen bestehen müssen, bald, aber er wird bei mir
sein.”
”Das kannst du hören?”
”Das kann ich hören.”
Luis stand etwas betreten und schämte sich wegen seines tauben Gehörs.
”Das Hören muß man lernen,” beruhigte ihn Vater, ”das kommt, das kommt, mach dir keine
Sorgen.”
”Und sonst hörst du nichts?”
”Ich höre Nachrichten von den Bergen. Schon seit ein paar Tagen. Es wird dort nicht immer
so friedlich bleiben.”

Aus „Im Bann der Stiere“, S.13f.

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