Winfried Maier-Revoredo

       Im Bann der Stiere

                    Roman, 352 Seiten
Sein Leben lang verfolgt Luis Carrera ein Schreckenserlebnis aus Kindheitstagen, als er sich
zwei außer Kontrolle geratenen Stieren gegenübersah. Licht und Schatten begleiten fast sein
ganzes Leben: die heile Welt seiner Kindheit wird durchbrochen von der Arbeitslosigkeit
seines Vaters und der Versetzung in abgelegene Gegenden der peruanischen Anden, die Not
der Bauern und erste Aufstände, die wie aus der Ferne unruhige Zeiten ankündigen. Den Stolz
und die Liebe zur Heimat, die ihm sein Vater einpflanzt, können auch das drakonische
Regiment und die europäische Gehirnwäsche spanischer Nonnen an einem katholischen
Gymnasium nicht brechen.
Als Jugendlicher erlebt er den Sturm der Umwälzungen in der Velasco-Ära mit der
Landreform und der Enteignung der Kirchen. Als Student gerät er später unversehens in die
Strudel des Widerstands gegen die Militärdiktatur und muß um sein Leben fürchten. Dabei ist
er ein eher unpolitischer Charakter. Als jemand, der sich dem humanitären Einsatz für die
Notleidenden verschrieben hat, studiert er Medizin und praktiziert später als Arzt in kaum
zugänglichen Gebirgsgegenden, wo er das Vertrauen der Bauern gewinnt, indem ihm kein
Weg zu weit ist, den er zu Fuß oder zu Pferde zu ihren entlegenen Dörfern zurücklegen muß.
Nicht alle sind freilich seinen Weg gegangen. Sein Vetter Miguel ist der bequeme Bürokrat,
der eine Fertigkeit darin entwickelt, es mit den jeweiligen Machthabern zu halten und in jeder
Position seine Taschen zu füllen; José, ein Kind aus armen Verhältnissen und Luis´ Bank-
nachbar aus der Schulzeit, geht zur Polizei, wo er glaubt, wenigstens an einem Zipfel der
Macht teilzuhaben. Americo, Luis´ lebenslanger Freund aus der Nachbarsfamilie Cabaña,
versucht sich als Lehrer und wird, nachdem er ausgebootet wird, aus Verbitterung Terrorist,
ebenso wie Elias, ein Spielgefährte aus Kindheitstagen, der als ungewollter und nie geliebter
Sohn eines Priesters später als Kommandant beim “Leuchtenden Pfad” Rache an der
Gesellschaft zu nehmen versucht.
Drei Frauen begleiten den Lebensweg von Luis Carrera: Socorro, Americos ältere Schwester
und Luis´ Jugendschwarm; Judit, seine Arbeitskollegin, die ihn durch ihren Mut und ihre
Entschlossenheit gerade in den gefährlichsten Situationen immer wieder in Erstaunen setzt,
und Rut, die engelgleiche “Gringa”, Tochter einer deutschstämmigen Grundbesitzerfamilie,
die später, nach der Auswanderung ihrer Eltern, wieder nach Perú zurückkehrt.
Viel Zeit, sich der Liebe hinzugeben, bleibt Luis allerdings nicht: Wie ein fernes
Donnergrollen zieht der Bürgerkrieg der Achtziger- und beginnenden Neunzigerjahre herauf,
ausgelöst durch die Anschläge des “Leuchtenden Pfads”, verursacht aber letzten Endes durch
die himmelschreiende Willkür und Korruption und die dadurch angestaute Wut unter den
Leidtragenden. Die Aktionen des Leuchtenden Pfads und die nicht minder brutalen Strafak-
tionen des Militärs nähern sich auch San Pedro, dem Städtchen, in dem Luis praktiziert, und
bald herrscht auch dort der Belagerungszustand. Sondereinheiten der Armee, die berüchtigten
“Sinchis”, beherrschen das Stadtbild, aber die unsichtbaren Arme des Leuchtenden Pfads
erreichen in der Dunkelheit jeden “Verräter” und entführen schließlich sogar einen Großteil
des Krankenhauspersonals. Wird es Luis möglich sein, in einer Atmosphäre von lähmender
Angst und Schrecken weiter seine Arbeit zu tun, jetzt, wo er als Arzt mehr denn je gebraucht
wird? Schließlich wird auch er von Militärs der Zusammenarbeit mit den Terrorismus ver-
dächtigt, und vom Leuchtenden Pfad wird ihm bedeutet, daß seine Zeit abgelaufen ist...
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