Der Ingenieur und das Mädchen

Ingeniero Diego war eine stadtbekannte Person. Und dies, obwohl er im Grunde nichts anderes lebte als die meisten Männer der Stadt und was im allgemeinen eben als männlich galt. Vielleicht war er dabei nur noch etwas hemmungsloser als andere - oder eben erfolgreicher. Das ist Ansichtssache.

Worauf sein Erfolg gründete, ist schwer zu sagen. Äußerlich stellte er nämlich nichts besonderes vor. Er war nicht größer als die anderen untersetzten Männer von Cajamarca; das Gesicht mit der gekrümmten Nase und den etwas zu groß geratenen Ohren war alles andere als ein Modellgesicht. Dem strammen und schlanken Körper war im Lauf der Jahre ein Bäuchlein zugewachsen, das es ihm unmöglich machte, den obersten Knopf der Hose zu schließen. Manche lästerten, er halte dies absichtlich so, um bei seiner Lieblingsbeschäftigung schneller zur Sache zu kommen. Dass er ein Suarez war, die sich alle etwas auf ihr reines Blut einbildeten, konnte seinen Erfolg genauso wenig erklären wie der hochmoderne Geländewagen, der ihm für seine Arbeit zur Verfügung stand, den man aber auch vor den Inkabädern, bei den Wasserfällen von Yacanora und anderen geeigneten Orten der Zweisamkeit sah. Seine Unterhaltungen waren nicht geistreicher und auch nicht dümmer als die anderer Herzensbrecher der Stadt. Aber er hatte eine Art, sein Gegenüber festzuhalten und nicht mehr loszulassen - solange er wollte. Er verwickelte seinen Gesprächspartner in irgend ein Thema, ob zwei Glas Bier schon Trinken sei und ob man vor den Augen seiner Frau auch mit einer anderen Hüfte an Hüfte tanzen dürfe, Themen, an denen sein Gegenüber am Anfang nicht das geringste Interesse hegen mochte, um dann aber, ohne widerstehen zu können, von Diegos penetrantem Drängen hineingestoßen zu werden und bald, ohne es sich zu versehen, sich selbst in der lebhaftesten Diskussion der Angelegenheit wiederzufinden.

Ähnlich muss es den Frauen ergangen sein. Alle kannten seinen Ruf, und  fast jede winkte ab, wenn er sich nur näherte, aber am Ende bekam er doch immer, was er wollte.

Sein Beruf kam ihm bei seinen Abenteuern sehr entgegen. Als Landwirtschaftsingenieur bereiste er die gesamte Provinz und hatte praktischen Anschauungsunterricht zu geben, wie durch Aufforstung und Terrassenanlegung die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhalten sei. Mindestens ebenso professionell war sein Anschauungsunterricht, wenn es um die Fruchtbarkeit der Frauen ging. Man warnte vor ihm, aber alle Bedenken schmolzen vor seinen Augen und in seinen Armen rasch in Nichts zusammen. Mit der Zeit erwartete ihn in jeder Stadt und in jedem Dorf tagsüber ein Hang mit Kartoffeln und nachts das Bett einer Geliebten. Es war erstaunlich, woher er die Energie nahm, aber sie wurde gewiss angestachelt durch den Reiz des ständig Neuen, denn länger als drei Tage hielt er sich nirgendwo auf und entfloh damit über all die Jahre hinweg der Erfahrung, dass Liebesabenteuer auch in Routine und Langeweile umschlagen konnten. Auf dem Lande waren die Mädchen besonders gefügig, vor allem die sechzehn- und siebzehnjährigen, die er bevorzugte, weil sie noch enger gebaut waren. Und die Unschuld, die diese Bauernmädchen ausstrahlten, machte für ihn das ganze Unternehmen so reizvoll wie der Biss vom verbotenen Apfel des Paradieses.

Auch in Cajamarca selbst wurde ihm die Zeit nicht lang. Auf Partys und auf Familienfeiern, zu denen er regelmäßig eingeladen wurde, gelang es ihm immer wieder, einer Bereitwilligen schöne Augen zu machen. Er hatte keinerlei Hemmungen, ein wildfremdes Mädchen zum Tanz aufzufordern und dann mitunter die ganze Nacht mit ihr zu flirten im Rhythmus der Cumbias und Salsas, Hüfte an Hüfte und mit eindeutigen Blicken und Gesten. Es störte ihn nicht, dass der ganze Saal sich dann zuflüsterte, der Weiberheld habe wieder ein Opfer gefunden und manche das Unmögliche versuchten, seine Partnerin in einer kurzen Pause zur Vernunft zu bringen. Die ausgelassenen Hochzeitsfeiern mit ihren ohrenbetäubenden Tanzorgien bis zum nächsten Morgen waren dabei immer seine besten Gelegenheiten.

Auch ob die Auserwählte verheiratet war oder nicht, kümmerte ihn wenig. Im Gegenteil, das Abenteuer und die Gefahr des Konflikts mit dem Ehemann machten die Sache für ihn fast noch reizvoller. Unter den Kumpels seiner Trinkgelage prahlte er damit, dass er einmal im letzten Moment über das Dach des Hauses entkommen sei, weil der Ehemann früher als erwartet nach Hause kam und im Begriff war, ihre Umtriebe im Ehebett zu stören. In eine Stadt wagte er sich mehrere Jahre lang nicht mehr, seit der Direktor des Hospitals Wind davon bekommen hatte, mit wem seine Frau ihr Alleinsein verschönerte, und er drohte, Diego umzubringen. Gewissensbisse kannte er nicht; wenn ihm jemand solche einzureden versuchte, wies er darauf hin, dass zum Liebesakt immer zwei gehörten und dass er nie eine Frau hätte zwingen müssen.

Ein Ausflug mit einem Kumpel in ein Bordell an der Küste blieb die Ausnahme. Diego wurde dort das Opfer seiner Unerfahrenheit auf diesem Gebiet. Die schönen Augen, die ihm eine gewerbliche Liebesdienerin machte, vermochte er nicht von den zerfließenden Blicken unschuldiger Landmädchen in der Sierra zu unterscheiden, und nachdem er ihr auf ihr Zimmer gefolgt war und dort eine halbe Stunde mit ihr verbracht hatte, fand er sich ohne Geldbörse wieder. Er vergaß die Erniedrigung sein Leben lang nicht, dass er mittellos dastand und seinen Kumpel anpumpen musste, um überhaupt nach Cajamarca zurückkehren zu können. Seine Umtriebe beschränkte er deshalb fortan auf Cajamarca und die gewohnte Umgebung, wo er für die Liebesdienste nicht bezahlen und auch keine Heimtücke fürchten musste. In welchem Umfang er die Provinz bevölkerte, blieb im Nebel der Ungewissheit. Er selbst verlor stets das Interesse an einer Frau mit dem Moment, in dem er von ihrer Schwangerschaft erfuhr; dann wollte er mit ihr und dem Kind nichts zu tun haben, schimpfte, hier wolle ihn eine zum Narren machen, die wisse ja selbst nicht, von wem das Kind sei und brauche jetzt nur einen Dummen, der die Scheine zücke, aber da sei sie bei ihm an den Falschen geraten.

Wenn er nicht bei einer Frau war, dann saß Diego abends in einer Bar mit einigen Zechkumpanen. Dort prahlte er mit seinen Abenteuern, und dort wurden bisweilen auch Wetten abgeschlossen, wer es als erster schaffen würde, eine Señorita aufs Bett zu legen, die bislang noch als abweisend und unbezwingbar galt. Dies geschah in der Anfangsphase, wenn er ein oder zwei Gläser getrunken hatte. In dieser Phase ließ er sich auch über die Indios aus, die für ihn der Inbegriff von Dummheit, Schmutz und Faulheit waren. Er komme ja herum, er könne das beurteilen, in vielen Dörfern könne es ganz anders aussehen, aber die Ignoranz der Indios verhindere den wahren Fortschritt, da könne ein Kerl wie er zeigen, was er wolle. Nach weiteren Gläschen kam er auf die indianischen Mädchen zu sprechen und so manches reizvolle Hinterteil und viele schlanke Oberschenkel, die er unter ihnen antraf, und vor allem, dass sie die unterwürfigsten von allen waren. Aber das sei auch angemessen, und im übrigen könnten sie froh sein, wenn sich mal einer von seinem Schlag für sie interessierte. Er verschwieg in diesen alkoholisierten Momenten, dass er auf der Straße die 'Indios' stets mit augenfälliger Herablassung strafte und sie keines Blickes oder Grußes würdigte; wehe, er musste ihretwegen einmal vom Gehweg auf die Straße treten oder es roch irgendwie unangenehm - sofort hatte er einen Schuldigen in seiner Nähe ausgemacht, den er als "schmutzigen Indio" abkanzelte und mit den üblen Beschimpfungen seines nicht gerade wählerischen Wortschatzes bewarf.

Wenn Diego dann noch mehr getrunken hatte, verwandelte er sich in einen anderen Menschen; nun philosophierte er mit gläsernen Augen und erhobenem Zeigefinger über Gott und die Welt und das Jüngste Gericht und belehrte alle Anwesenden über die moralischen Pflichten der Menschheit, bevor er dann im letzten Stadium der Betäubung nach Hause torkelte oder gar von zwei anderen am Oberarm geschleift werden musste.

Als der Ingeniero um die dreißig war und die Leute schon redeten, weil er immer noch keine Frau hatte und viele ihn aufzogen, dass wohl etwas mit ihm nicht in Ordnung sein könne, verlobte er sich mit Isabel. Er hatte sie vor Jahren auf einer rauschenden Silvesterfeier kennen gelernt. Sie war nicht so rasch auf ihn geflogen wie andere, wusste sie doch, was sie ihrem Stand schuldig war. Als eine de la Torre, Mitglied einer der führenden Großgrundbesitzerfamilien, die im weiten Tal zwischen Cajamarca und Jesús ihre Viehweiden hatten, war sie nicht eine von den unzähligen Backfischen, die in einer Nacht zerschmolzen und am Morgen mit Katzenjammer zurückblieben. Sie war reinen Blutes und ebenso alt wie Diego, sie wollte schon umworben sein, und auch wenn es ihm mit der Zeit gelang, ihre Beziehung intim zu gestalten, so verlor sie dabei nie ihren Stolz. Sie wollte bei allem gefragt, sie wollte umworben werden wie am ersten Tag, und sie bestimmte immer, wie weit er gehen durfte. Vielleicht hielt eben dies ein Interesse in ihm wach, das ungewöhnlich lang war und auch nach Jahren nicht erschöpfte. Dass sie intelligent genug war, sich nicht von ihm schwängern zu lassen, erhöhte den Reiz. Sie war eine schlanke, große und attraktive Frau, trug das Haupt aufrecht und mit ihren leicht herabhängenden Mundwinkeln stets eine gewisse Verachtung anderer zur Schau. Zumindest empfanden das manche so. Bei ihr zu Hause war man sich des blauen Blutes bewusst; man war gewohnt, einem Heer von Angestellten Anordnungen zu erteilen, und so war es auch nicht ihre Art, sich zu genieren und im Gespräch lange um den heißen Brei herumzureden wie andere, die sich ihrem Gegenüber unterlegen fühlten.

Isabels Familie und Verwandtschaft sah dem ganzen Treiben mit Diego mit Stirnrunzeln zu - Isabelita, muss das denn sein, du kennst doch seinen Ruf, denk an dich, es gibt doch noch so viele andere schöne Männer! Sie veranstalteten Feste, zu denen fast sämtliche unverheiratete Männer Cajamarcas geladen waren, nur, um sie auf andere Gedanken zu bringen, aber es war vergeblich. Sie war überzeugt, dass er sich ändern, dass sie ihn einmal dazu bringen würde, sich klar zu entscheiden.

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